MAJA DONCSECS

MEERBLAU IST DIE FARBE IHRER LIEBE

 


Wie hypnotisiert starrt sie auf das Sehnsuchtsobjekt ihrer Träume, erwartet die Erfüllung ihrer Wünsche, möchte sich ihrer Begierde hingeben. Die Unab-sehbarkeit der Weite und Tiefe des Ozeans fasziniert sie immer wieder. Eine anziehende Kraft steigt an der Klippe herauf, saugt sich an ihr fest. Hoch über dem Meer steht sie und sieht 100 Wasserarme, die sich ihr entgegenstrecken, sie willkommen heißen. Seit sie das Meer gehört, gesehen und gerochen hat, ist alles andere unwichtig geworden. Ihr Blick wird magisch festgehalten. Doch sie will das Meer auch berühren, seinen salzigen Geschmack auf ihren Lippen genießen. Sie möchte seine Energie in sich aufnehmen beim Eintauchen.
Meer, endlich bin ich wieder da. Soll ich springen, mich in dich fallen lassen? Freust du dich ebenso? Willst du mich auch haben?
Sie hat aber Angst vor dem Abgrund, der sie voneinander trennt. Ihr wird schwindlig, wenn sie über die Felskante nach unten schaut, hinab in seine erregte Erwartung. Welche Mächte spielen mit ihr, wollen sie hinunterzerren und gleichzeitig zurückreißen, obwohl ihre nackten Füße verwurzelt zu sein scheinen?
Nun wiegt sich das Meer einladend unter dem Feuerball der Sonne. Blau oben, blau unten und am Horizont ein Ineinanderfließen aller nur denkbaren Blautöne: algenblau, sandblau, fischblau, ölblau, rauchblau und himmelblau, je nachdem, was sich im Meer spiegelt, von unten durchscheint oder auf der Oberfläche schwimmt.
Erneut rufen die Wellen mit spritzendem Tosen nach ihrer Aufmerksamkeit, ver-stehen ihr Zögern nicht. Sie wird überwältigt von dieser Begrüßung. Das Meer schickt ihr Wasserspringer entgegen, grazile Spitzentänzerinnen, sich in der Luft überschlagende Akrobaten, hüpfende sich aufbäumende Wassergeister. Es lässt ein Orchester rauschender, zischender, plätschernder und glucksender Musikan-ten für sie konzertieren. Ein begeistertes Wellenpublikum spendet Beifall mit an die Felswand klatschenden, nassen Händen
Aber was klopft und hämmert an den riesigen Gesteinsockel, auf dem sie steht?
Sag Meer, bist du etwa gar nicht so sehr an mir interessiert, wenn du dich unermüdlich lautstark an den Felsen wirfst und dich wieder zurückziehst in deinem uralten Rhythmus? Wirbst du etwa um ihn? Willst du ihn erobern, den Mächtigen, scheinbar Unbesiegbaren? Habe ich mir nur eingebildet, dass dein Bemühen mir gilt? Willst du nun mein Luftschloss zerstören? Wird meine Freude ertrinken in dir? Entscheide dich, Meer. Willst du ihn umarmen oder mich? Du schleuderst unablässig deine Wellen gegen ihn, und er zerschneidet sie mit seinen scharfen Kanten zu feinen Gischtspritzern. Sie sickern entweder in die Spalten und Poren des Gesteins, werden in der Luft von der Hitze geschluckt oder fallen wieder in dich zurück. Man könnte meinen, du wolltest ihn zerstören. Unermüdlich nagen deine Wasserzähne an seiner Festigkeit und er bricht deine Ausdauer in tausend fliegende Tropfen, zerteilt die massiven Angriffe in harm-lose Rinnsale, die wie Tränenbäche über sein Steingesicht zu dir zurück fließen. Oder fühlst du dich eingeengt? Kämpfst du um mehr Platz? Ärgert dich seine Standhaftigkeit so sehr, dass du keine Ruhe gibst? ... oder willst du zu mir, wirbst du so leidenschaftlich um mich?
Entrüstet über ihr Misstrauen bäumt sich das Meer auf unter ihr, ergießt sich in Liebesbeteuerungen über die Felswand, will seine Loyalität beweisen, schäumt vor lauter Begeisterung, lässt einen Riesenschwarm silbriger Fische als Zeugen seiner Liebe anschwimmen und spült mit einer einzigen großzügigen Bewegung den Argwohn fort.
Sie wird weich. Ihr Verstand bröckelt ab. Das Denken fällt aus ihrem Kopf. Sie läuft über Steine, blumenloses Grasland zum Strand hinab. Erst im Sand wird sie langsamer. Er lässt ihre Füße einsinken, zwängt heiße Körner zwischen die Ze-hen. Der Strandhafer, der die Dünen befestigt, schlägt nach ihren Waden, lässt sie taumeln, fallen. Niederfallen vor dem Meer. Nur kurz nimmt sie das weiche, warme Sandbett wahr. Langsam steht sie auf. Ihre Augen schwimmen im Glück, in Freudentränen. Wie eine Betrunkene wankt sie ans Ufer, schöpft mit ihren Handschalen das begehrte Wasser und legt ihr erhitztes Gesicht hinein. Dann kniet sie nieder, setzt sich auf die Fersen zurück und saugt mit tiefen Atemzügen seinen Geruch in sich hinein.
Die Wellen sind hungrig, haben Appetit auf den Strand, wollen offenbar das Land fressen, spielen Eroberer, üben Angriff und Rückzug. Oder wollen sie nur koket-tieren, herumplänkeln? Ihre Beine sind unter ihrem Gewicht eingeschlafen. Sie dehnt sich langsam. Da rollt ihr das Meer neckend ein paar Kiesel vor die Füße, wohl ahnend, dass man sie mit Steinen verführen kann, aber nicht wissend, dass ihre Sammelleidenschaft sie Ort, Zeit und Zweck ihres Hierseins vergessen lässt. Sogleich beginnen ihre Augen wie Scheinwerfer den Strand abzutasten, um weite-re unbeachtete Wunderdinge zu entdecken.
Meer, ich danke dir für deine Geschenke, die flachen, runden oder länglichen Kiesel, mit so viel Mühe und unfassbarer Ausdauer geschliffen und poliert, hin und her gedreht und aneinandergerieben, bis sie ihre jetzige Form bekommen haben. Alles Scharfe, Unebene und Verletzende haben sie verloren. Ich bewundere deine Arbeit!
Die Wellen schieben ihr immer mehr Steine vor die Füße. Sie hinterlassen Spuren im feuchten, etwas kühlen Sand. Das Wasser sprudelt vor Freude, schickt ihr abgerissene grüne Fransen entgegen von einem entfernt schwimmenden Algen-teppich, schwemmt auch Muscheln an und Schneckenhäuser und schwarze Teerklümpchen. Und immer wieder Steine. Steine für sie ... Holt einige davon auch wieder zurück ins Wasser, wenn sie sich nicht rasch genug danach bückt.
Der Sammeltrieb hat sie voll gepackt. Mit gebeugtem Kopf stapft sie langsam der Küste entlang. Sie hockt sich manchmal nieder, begutachtet, wendet und strei-chelt die Steine und hebt diejenigen auf, die ihr ungewöhnlich erscheinen. Prall-voll sind schon die Taschen ihres weiten Sommerkleides. Es hängt schwer an ihren Schultern. Doch das stört sie nicht.
Der Sandstrand schluckt das Salzwasser, lässt sich erweichen. Die felsigen Ufer-partien verhalten sich abweisend, werfen die Wellen immer wieder zurück. Die Sonne brennt auf ihrer Haut. Die Haare greifen sich an wie heißes Stroh. Der Wellenschlag ist inzwischen heftiger geworden, schleudert bereits ganze Stein-ladungen nach ihren Beinen. Die Knöchel und Schienbeine beginnen zu schmer-zen. Sie bemerkt kaum mehr, ob das Wasser kalt oder warm ist, spürt jedoch plötzlich eine knurrende Leere im Bauch. Und Durst, unerträglich auf einmal, spröde Lippen, ausgetrockneter Gaumen, bleischwer die Zunge, unbeweglich.
Das Meer ist zuerst ganz langsam und geduldig zu ihr gekrochen, während sie verzückt seine Geschenke eingesammelt hatte. Sie hat es nicht mehr beachtet, seine Werbung übersehen, sein Locken überhört. Es ist an ihren Beinen hoch-geklettert, hat sich an ihr Kleid geklammert, das nun nass an ihrem Körper klebt, sich um ihre Waden wickelt, ihre Schritte behindert, sie so zur Besinnung bringt. Selbstvorwürfe stülpen sich über sie, als sie erkennt, dass sie dem Meer ihre Aufmerksamkeit entzogen hat, sein lustvolles Tätscheln an ihren Schenkeln unbeachtet gelassen hat.
Das Meer ist ungeduldig geworden. Drängend, fordernd umgarnt es mit Tang-fesseln nun ihre Knie. Sie hat es vernachlässigt und die geweckten Erwartungen nicht erfüllt wegen ein paar Steinen. Wegen toter Materie hat sie die Lebendigkeit nicht mehr wahrgenommen. Sie hat das mahnende Rauschen überhört, das im-mer lauter werdende Grollen. Die nassen Boten der Flut hat sie übersehen ... nun zieht sie das Meer mit einer mächtigen Woge gewaltsam an sich, nimmt sich, was es haben will, holt sich den Körper, der ihm auf dem Felsen versprochen worden ist.