INGRID MARIA LANG

IM CAFE LÖWENZAHN

 

Mittwoch Nachmittag ist Damenrunde im Cafe Löwenzahn.
Hilde Brezina, Fußpflegerin im Ruhestand aus dem Anton Kollerhof-Gemeindebau in der Troststraße und heimliche Alkoholikerin, kommt immer eine Viertelstunde früher, damit sie den anderen mit zwei Scharlachberg im Vorsprung ist.
Gretel Pötzinger, vormals Pächterin eines florierenden Gemüsestandes am Viktor-Adler-Markt und dank zweier Scheidungen im Besitz eines Einfamilienhäuschens am Wienerfeld und einer Dreizimmerwohnung mit Südbalkon in der Herzgasse, kommt mit glänzenden Augen und verrutschter Perücke von ihrem pensionierten Heilmasseur, der ihr jeden Mittwoch eine kostenlose Rückenmassage verpasst.
Und die Schwestern Krumstroh, Lotti und Frieda, die am Antonsplatz in der einstmaligen Dentistenpraxis ihres verstorbenen Vaters wohnen, 150 m2 zum Friedenszins, kommen aus dem Coiffeursalon. Mittwoch ist dort Pensionistentag, Waschen mit einmal Shampoonieren und Legen 13,20 Euro.
„Hildchen“, sagt Frieda, zieht den Mantel aus und streicht über ihre dreiwettertaftgesprayte Frisur, „du sitzt schon wieder auf meinem Platz“, und Hildchen, friedlich gestimmt von den zwei schon konsumierten Gläschen und in Erwartung der noch kommenden, sagt, „Gut schaust wieder aus, Frieda“, und räumt den Fensterplatz.
„Das war aber das endgültig letzte Mal, dass ich dort war“, sagt Frieda. Jeden Mittwoch gibt es mit Frau Heidi einen Diskurs, weil Frieda auf zweimal Shampoonieren besteht, wofür man ihr dann einen Euro extra berechnet, was Frieda nicht akzeptieren will. Lotti lässt dann den Euro auf ihre Rechnung setzen und gibt doppeltes Trinkgeld.
„Das sagst du jedes Mal. Beim Pensionistenangebot ist eben nur einmal Shampoonieren dabei“, sagt Lotti. Sie trägt die weiße Bluse mit dem Rüschenkragen, hat die kleine Perlengarnitur angelegt – einreihige Kette und Ohrringe – und sieht aus wie ein ondulierter Pudel mit Halskrause.
Um 17 Uhr ist zwei Tische weiter Herren-Tarockpartie. Lotti hat ein Auge auf Herrn Niedersteif geworfen, sein feuriger Blick und sein keckes Ober-lippenbärtchen haben es ihr angetan und seit voriger Woche, als er den Damen eine Runde Kirschlikör spendierte und Lotti mit einem charman-ten Lächeln zuprostete, glaubt sie zu wissen, dass er so fühlt wie sie.
„Mach es so wie ich“, mischt sich Gretel ein, „dann schaust was gleich und brauchst nicht ständig deinem Geld nachjammern.“
„An deiner Stelle würd ich einmal in den Spiegel schauen“, sagt Frieda, „mir kommt nämlich vor, du hast was verkehrt herum auf.“
Gretel zieht genüsslich an ihrer Zigarette, lässt Asche auf den Tisch fallen und sagt, „Jetzt ist es endgültig. Jetzt gibt’s ihn nicht mehr. Ich hab gehört, seit einer Woche ist er aus dem Spital.“
„Was?, fragt Hilde, „wen gibt’s nicht mehr?“, und „Wer war im Spital?“, fragt Lotti, und Frieda, die auch nicht weiß, wovon Gretel spricht, sich aber niemals die Blöße einer Unwissenheit geben würde, sagt, „Ach Dummerchen, wer schon?“, und tut so, als ob man ihr in einer bestimmten Angelegenheit ein Schweigegelübde abverlangt hätte.
Lotti und Hilde strecken neugierig die Köpfe, Frieda tut weiter so, als wüsste sie schon alles, und Gretel lehnt entspannt auf der Polsterbank, bläst den Rauch in Friedas Richtung und lässt die Spannung hochkochen.
Die Offenbarung des Geheimnisses muss allerdings noch warten: Bianca kommt an den Tisch und fragt nach den Bestellungen. Frieda kann Bian-ca nicht leiden, weil die ihr – trotz der deutlich vorgebrachten Anwei-sung, „Zwei Gupfe bitte schön“ – immer zu wenig Schlagobers auf die Melange tut und Kaffee ausschwappt, wenn sie ihr die Tasse hinstellt, wofür Frieda sich rächt, in dem sie alle zehn Minuten nach einem Glas Wasser verlangt und kein Trinkgeld gibt. Lotti macht das bei der Bianca mit ihrem süßen Püppilächeln und zwei Euro extra unter der Serviette wieder gut.
Kaum dass die Bianca alles notiert hat, rücken die Damen näher zusammen, zwischen zwei Hustern zündet sich Gretel eine frische Zigarette an und sagt, „Den Gucki, den gibt’s nicht mehr.“
Lotti ist verwirrt. „Ist der gestorben? Du hast doch grad gesagt, da ist jemand aus dem Spital draußen.“
Die Bianca kommt mit dem Tablett, Hilde ordert gleich noch einen Scharlachberg, diesmal einen doppelten, und Frieda vergisst total, die Bianca anzublaffen; langsam dämmert ihr nämlich, was für eine Ge-schichte die Gretel da erzählen will, und weil gerade in dem Augenblick die Traudel Löwenzahn hinter der Mehlspeistheke auftaucht, winkt sie ihr zu und sagt in die Runde, „Ihr könnt gleich der Traudel gratulieren, sie ist Mutter einer Tochter geworden.“
Lotti, ganz Kullerauge und offenes Mündchen stottert, „Mutter? Die Traudel? Aber die war doch gar nicht schwanger“, und Gretel, die sich ärgert, weil sich Frieda wieder einmal aufgespielt und ihr die Über-raschung verpatzt hat, sagt, „Schnippedischnapp, der Pimmel ist ab. Endgültig.“
„Mein Gott, Gretel“, sagt Frieda, „wir wissen, wo du herkommst, du musst uns nicht dauernd daran erinnern“, und Gretel lässt ihren Zigarettenstummel in die halbvolle Kaffeetasse fallen, dass es zischt, und sagt, „Verzeihung Gnädigste, wie nennst du denn das Ding?“
Hilde kichert und kämpft mit Schluckauf, Lotti ist noch immer nicht auf der Höhe des Geschehens und als Traudel mit einem Achterl in der Hand an ihren Tisch kommt, schnattert sie drauf los, fragt, wie’s ihr denn so geht und ob es was Neues gäbe und Traudel nimmt einen Schluck Roten und sagt mit einem Seufzer, „Jetzt hab ich keinen Buben mehr.“
Und dann hören die Damen endlich die Neuigkeit, die schon im ganzen Viertel die Runde macht: Der Sohn von der Traudel Löwenzahn, der schöne Gucki, Inbegriff des Herzensbrechers und Charmeurs für Frauen jeder Alters- und Gewichtsklasse, der ist jetzt eine sie.

Die äußerliche Verwandlung hatten die Damen ja schon seit Monaten miterlebt. Am Faschingdienstag im vergangenen Jahr war Gucki auf dem Kaffeehausgschnas als Blütenzauber-Barbie erschienen mit echter Blondhaarperücke, „Bist du narrisch“, Gretel hatte es nicht fassen kön-nen, „Echthaar, die muss ein Vermögen gekostet haben“, und alle fanden Gucki Löwenzahn umwerfend im Blütenspitzenkleid, er wurde pausenlos zum Tanzen geholt und an die Bar eingeladen und um Mitternacht über-reichte ihm das Ballkomitee den ersten Preis für das originellste Kostüm.
Ja, und dann zeigte sich Gucki weiter als Barbie: Als Business-Barbie im Kostüm und hochgeschlossener Bluse, als Serviermädchen-Barbie mit schwarzem Minirock und gestärkter Schürze und als Jogging-Barbie in hautenger Caprihose. In den folgenden Monaten formte sich Guckis Kör-per in sanften Rundungen, er trug modischen Bobschnitt mit zweifärbi-gen Strähnchen, seine Wangen wurden glatt und seine Stimme sanft wie die einer Telefonsex-Barbie. Es war nicht mehr zu übersehen: Gucki Löwenzahn war auf dem Hormontrip.
Seine Frau, die Jutta, hatte ihm dann eines Tages nahe gelegt, aus ihrem Leben zu verschwinden und Gucki zierte sich nicht lange, räumte das ge-meinsame Konto leer, packte seinen Tennisschläger, die La Perla Dessous und die Sparbücher ein und machte es sich bei seiner Mutter gemütlich. Traudel berichtete den Damen nun fortan von Guckis regel-mäßigen Besuchen bei der Psychotherapeutin, beim Urologen und von seinen ausgedehnten Shoppingtouren und schien sich im Übrigen mit der Verwandlung ihres Sohnes allmählich abzufinden.

„Wisst ihr“, sagt die Traudel und macht der Bianca ein Zeichen, ihr ein zweites Achterl zu bringen, „obwohl ich mich ja schon irgendwie an das veränderte Aussehen gewöhnt hab, ich hab einfach nicht glauben wollen, dass er den letzten Schritt tut. Ich hab’s einfach nicht glauben wollen.“
„Den letzten Schnitt meinst du wohl“, sagt Gretel und Lotti fragt, „Wie heißt er denn jetzt?“, und Frieda sagt, „Sie. Wie heißt sie jetzt, musst du fragen“, und Hilde, inzwischen beim fünften Scharlachberg angelangt, kichert, „Gucki. Gucki ist Gucki, passt doch eh, was gibt’s denn da zu ändern.“
Traudel nimmt einen kräftigen Schluck, bedient sich an Gretels Zigaretten und sagt, „Barbara. Barbara heißt er jetzt, eh, sie, ich mein’ natürlich, sie heißt Barbara. Ich bring das noch immer durcheinander.
„Dir als Mutter sollte das aber nicht passieren“, sagt Frieda.
Traudel nickt. „Ja, hast recht. Aber, ich sag euch, an was ich mich alles Neues gewöhnen muss. Das ist nicht so einfach, das könnt’s ihr mir glauben.“
„Und was hat der ganze Spaß gekostet?“, fragt Gretel, „könnte mir vor-stellen, dass ich dafür mein halbes Haus verkaufen müsste.“
„Du?“, fragt Lotti, „wieso du?“, und Frieda sagt, „Ach Dummerchen, sei doch still“, und Lotti zieht ein Schnütchen und sieht auf die Uhr. Halb fünf vorbei, bald wird Herr Niedersteif auftauchen. Lotti hat sich für heute schon eine Strategie für ein nettes Pläuschchen unter vier Augen zurecht gelegt.
„Gott sei Dank“, sagt Traudel, „ist das auf Krankenkasse gegangen. Und einen Teil der Brustvergrößerung haben die auch bezahlt.“
„Was?“, Gretels Stimme ist am Überkippen, „ich glaub’ ich hör nicht richtig. Für meine Rheumapulverln muss ich 30 Euro hinblättern, aber das Schwanzabschneiden gibt’s gratis. Bitte schön, wo leben wir denn?”
Frieda schickt einen ihrer maßgeschneidert verachtungsvollen Blicke zu Gretel, aber auch in ihrer Stimme schwingt ein gerüttelt Maß an Indi-gnation als sie zu Traudel sagt, „Erstaunlich, wirklich erstaunlich“, und Traudel erklärt ihnen darauf hin ausführlich, wie sich das verhält mit den inneren Spannungen zwischen Körper und Seele und wohin das führen kann, wenn die Spannungen nicht behoben werden, nämlich zu schweren psychischen Krankheiten, und wo der Gucki dann hätte enden können, nämlich auf der Baumgartner Höhe, und da wären die Behandlungskosten dann sehr viel teurer geworden.
„Tatsächlich?“, sagt Frieda, „und die Brustvergrößerung, die war auch zur Linderung der Spannungen notwenig?“
„Natürlich, die Hormone allein, die schaffen das nicht“, sagt Traudel und Gretel kippt Hildes Scharlachberg und sagt: „Ich hab auch so ein innere Spannung, ich glaub, die zerreißt mich gleich.“

Lotti ist schon eine ganze Weile stumm und starrt zur Theke hinüber.
„Was ist denn los mit dir?“, fragt Frieda, die mit dem Rücken zur Bar sitzt, „was schaust denn drein wie die Minki, wenn’s donnert?“, und dann fängt die Hilde an zu kichern und die Gretel spitzt die Lippen und sagt, „Also auf Krankenkasse tät ich mir auch gerne solche Glocken bauen lassen.“
Frieda dreht sich um und dann sieht auch sie, was Lottis Stimmung hat in den Keller sausen lassen: Herr Niedersteif, Charme versprühend wie ein argentinischer Eintänzer, lehnt an der Theke und dahinter stöckelt ein Geschöpf mit Endlosbeinen und präsentiert ihm und der Welt zwei herrlich pralle Silikonbirnen, umschmeichelt von zartrosa Angora und züchtig geschmückt mit einem Kreuz aus Granaten.
„Hast du eine neue Bedienung?“, fragt Frieda und Traudel sagt, „Aber Frieda, kennst du den Gucki nicht mehr? Das ist doch die Barbara!“ und Gretel zündet sich eine Zigarette an und sagt zu Lotti: „Ja, Schatzel, ich würde sagen, gegen die Konkurrenz wirst mit einer frischen Ondulage allein nicht viel ausrichten.“