DU SOLLST IN DEINEM
GANZEN LEBEN KEIN GLÜCK HABEN - schießt es aus der Mutter heraus,
zu der Tochter läuft es hin, dieses Wort, es breitet sich aus, fängt
die Tochter ein wie ein Kokon, der Fluch beginnt zu laufen wie der Ariadnefaden
und webt sich rund um die Zelleneinheit der Tochter.
Fluch Fluch Fluch, du bist ein Geruch, der sich nie mehr verflüchtigt,
Fluch Fluch Fluch, du bist ein Gesuch, das die Bitte erfüllt.
Fluch Fluch Fluch, du bist ein Tuch, das sich webt und dem Verfluchten
zustrebt.
Fluch Fluch Fluch, du bist ein Bruch, der ein Leben zerschlägt.
Die Tochter atmet schwer durch und spürt, wie sich schlagartig eine
Hand auf ihr Herz legt, ihr Herz packt und erdrückt, das Wort der
Mutter hat sie gepackt. Lind erdrückt, das Wort der geliebten Mutter,
die auf ihr geliebtes Kind einen Fluch losläßt und ihr Leben
verwirkt. Die Tochter kann sich diesem Wort nicht entziehen, die Tochter
kann nicht ausweichen, die Tochter ist wie ein offener Raum der Mutter
gegenüber und die Mutter wirft Müll in diesen offenen Raum,
den die Tochter nie mehr ausräumen kann, die Tochter ist vollgefüllt
bis obenhin mit diesen Worten, die Tochter weiß nicht, was sie beginnen
soll mit diesen Worten, die Tochter ist nun mit diesen Worten verbunden,
eingekreist von diesen Worten, der Tochter ist der schwere Bann noch nicht
bewußt, noch lächelt sie in sich hinein und denkt: Heute ist
mein schönster Tag - heute heirate ich, heute streite ich nicht -
heute sage ich kein Wort - heute bin ich still, und in dieser Stille verfestigt
sich das Wort der Mutter, die Tochter sieht es nicht, die Tochter spürt
es nur, das Herz schmerzt plötzlich, in dem jungen Körper schmerzt
das Herz, an diesem Tag, ihrem schönsten Tag, ihrem Hochzeitstag.
Der Fluch ist rabenschwarz, der Fluch ist Niemandsland, der Fluch ist
ein Vakuum, ein luftleerer Raum, wo nichts geschehen kann, der Fluch ist
eine Abgrenzung, der Fluch ist eine Verschiebung, der Fluch ist ein Manöver,
das keine Rückkehr kennt, der Fluch ist eine Abgabe an Gewissen,
die sich nicht erinnern, eine eigene Instanz der Entscheidung zu haben,
der Fluch kommt aus der Zone, wo die Geschichte ihren Anfang nahm, wo
Menschsein kaum vom Tiersein unterschieden war, der Fluch kommt aus der
Zeit, wo Gerechtigkeit und Einfühlsamkeit noch nicht geboren waren,
der Fluch kommt auf die Tochter zu und erschlägt sie, der Fluch ist
eine Abmachung mit dem Geist, der stark ist und der Zeugung trägt,
der Fluch ist dem Gesetz unterworfen: DAS WORT IST FLEISCH GEWORDEN UND
HAT UNTER UNS GEWOHNT. Der Fluch wird mit der Tochter wohnen, der Fluch
wird seine Niederlassung im Herzen der Tochter haben, der Fluch wird sie
kennzeichnen wie ein Brandmal, der Fluch wird sie zeichnen für ihr
Leben, nie wird sie ihn loswerden, der Fluch wird sie bis ins Grab begleiten,
der Fluch wird sie nie mehr loslassen, in all ihre Handlungen wird dieser
Fluch miteingewebt sein, die Tochter kann keine Handlung setzen, wo dieser
Fluch sein Körnchen nicht dazu beiträgt, die Tochter ist dem
Fluch ausgeliefert, die Tochter wird mit dem Fluch aufstehen und mit dem
Fluch schlafen gehen, die Tochter ist von dem Fluch befallen wie von Aussätzigkeit,
die Tochter kann nie geheilt werden, die Tochter ist der Mutter Kind und
Gewinn einer Zeitspanne, die Tochter ist verloren und neu hineingeboren
in ein unabwerfliches Geschehen, die Tochter weiß nichts davon und
doch ahnt sie, die Tochter ist von den Worten der Mutter angerührt
und verwirrt, sie spürt diese Worte auf ihren Körper aufschlagen,
sie spürt und kann es nicht artikulieren, sie spürt, wie sie
in das Geschehen einbezogen wird, ohne sich wehren zu können, nichts
in ihr verwehrt sich dem, was von der Mutter kommt, sie ist für die
Mutter total offen, sie ist der Mutter treu in Liebe, treu im Augenaufschlag,
treu im Begegnen, treu im Fühlen und Sehen, treu im gesprochenen
Wort, sie versteht nicht, wie von der Mutter solche Worte kommen, sie
versteht nicht, wie die Mutter gegen sie, ihr Kind, solche Worte schleudern
kann, mit diesem Zorn, mit dieser Ungeheuerlichkeit in der Stimme, mit
diesem Wollen in der Stimme, mit dieser Unbedingheit in der Stimme und
Tonlage, mit dieser Geräuschkulisse, die aus Worten besteht, die
zusammenhängend einen Sinn findet - Sinn, der zu wirken beginnt.
Sinn, der in der Tochter zu wirken beginnt, Sinn, der sich nicht schmälern
und abschieben läßt, nicht ausstreichen und nicht auslöschen
läßt, nicht verschwindet von der imaginären Tafel, die
jetzt mit brennenden Worten leuchtet - DU SOLLST IN DEINEM GANZEN LEBEN
KEIN GLÜCK HABEN - steht auf der Kindertafel, du mein Kind, dir wünsche
ich das. Die Mutter hat keinen Gedanken daran verschwendet, daß
es ihr Kind ist, die Mutter hat keinen Gedanken daran verschwendet, daß
dem Kind durch ihr Wort Leid zugefügt wird, die Mutter hat keinen
Gedanken, um zu bedenken, die Mutter hat aus ihrem Bauch heraus agiert,
die Mutter hat dem Fluß ihres Zornes entsprochen und gesprochen
und manifestiert, die Mutter hat nicht analysiert, die Mutter hat gehandelt
wie der Wilde, der von der Jagd kommt, ohne ein Wild erlegt zu haben,
und das erste Kind, das ihm am Dorfrand entgegenläuft, zerreißt,
vor Zorn zerreißt, ohne zu erkennen, daß es sein eigenes Kind
ist, er hat sein Kind zerrissen, ohne es zu bemerken, erst einige Zeit
danach sieht er, daß er sein totes Kind in den Händen hält
und beginnt zu jammern, beginnt zu klagen, beginnt zu weinen. Auch die
Mutter weiß noch nicht, und sie wird später einmal sagen: Ich
habe es nicht so gemeint, still zu sich wird sie sagen: Ich habe es doch
nicht so gemeint, ich habe es doch nur im Ärger gesagt, ganz spontan
im Ärger gesagt, aber das wird ihr nichts nützen, die Worte
tragen ihre Wirkung, das Kind geht in dieses Unglück hinein, mit
jedem Schritt in dieses Unglück hinein, die Mutter hat keine Ahnung
von Worten, die wahr werden, die Mutter hat keinen Zugang zu den Mysterien
des Wortlautes und des Stimmlautes und ihrer Wirksamkeit. Die Mutter ist
so unbewußt wie einst der Wilde im Dorf, die Mutter ist selbst die
Gebrochene aus ihrer Kindheit und sie will diese Erbschaft ihrem Kind
weitergeben, jeder Gebrochene gibt dieses Gebrochensein seinem Kind und
anderen Menschen, mit denen er in Berührung kommt, weiter, jeder
Gebrochene gibt seine Gebrochenheit weiter, die Mutter gibt die eigene
Gebrochenheit weiter, die Mutter ist sich nicht bewußt, was sie
getan hat, sie weiß nicht, sie ist erstaunt über das Auge der
Tochter, das sie jetzt anblickt, so ganz anders anblickt, als sie es sonst
gewohnt ist, die Tochter blickt sie an mit einer Schwärze, die nichts
mit dem lichten Auge des heutigen Tages zu tun hat, die Tochter blickt
sie an wie verwandelt, was ist mit der Tochter geschehen, die Tochter
ist plötzlich verwandelt, ohne daß sich etwas bewegt hat, ohne
daß sie jemand berührt hat, nur die Worte der Mutter sind aus
dem Mund der Mutter herausgeflogen wie ein Schwarm schwarzer Vögel,
genau auf die Tochter hin, und die Tochter hat nun diese schwarzen Vögel
in ihrem Körper drinnen, sie haben sich eingenistet in dem Körper
der Tochter, die schwarzen Vögel sind ein Zutrauen und ein Versperren
und zugleich ein Verwandeln des Körpers, der ganze Körper der
Tochter ist jetzt ein anderer, und die Mutter sieht diese Verwandlung
und kann sie nicht erklären, sie sieht, die Tochter ist plötzlich
eine andere, sie ist nicht mehr ihre Tochter, sie ist mit dem Geist besetzt,
den ihr die Mutter hineingeschlagen hat, selbst unwissend und nur zeugend.
Die Tochter steht da, ohne sich zu regen, sie trinkt ihren Tee, sie trinkt
wie immer ihren Tee und weiß nicht, daß sie plötzlich
eine andere geworden ist, etwas in ihr beginnt zu wachsen, der Fluch der
Mutter beginnt mit jedem Schluck, den sie trinkt, zu wachsen, der Fluch
der Mutter breitet sich aus in ihrem Körper, der Fluch der Mutter
verändert ihren Körper und Augenausdruck, der Fluch der Mutter
verändert ihre ganze Gestalt, eine andere steht der Mutter jetzt
gegenüber, eine mit einem Fluch Beladene steht der Mutter jetzt gegenüber,
eine, die nicht weiß, wer sie ist, steht der Mutter jetzt gegenüber,
genau wie die Mutter nicht weiß, wer sie ist und was sie getan hat,
genau so ein Gegenüber hat sie gezeugt, die Mutter trägt keine
Schuld, wie die Tochter keine Schuld trägt, und doch sind sie jetzt
auseinandergerückt, mit dem gleichen unbewußten Inhalt gefüllt,
auseinandergerückt und doch ist die Mutter jetzt vor ihr, aber ihre
Hand kann sie nie mehr erreichen, die Mutter kann die Hand der Tochter
nie mehr erreichen, die Hand der Tochter ist äonenweit hinweggeschleudert
mit den Worten der Mutter, die Tochter ist bereit zu einem neuen Aufbruch,
einem Aufbruch in eine Ehe hinein und sie weiß nicht, was sie in
diese Ehe hineinnimmt, sie nimmt als Hochzeitsgeschenk den Fluch der Mutter
in diese Ehe hinein, sie nimmt diese Worte mit wie ein Geschenk, das einen
Samen in sich trägt, der zu wachsen beginnt, mit jedem Schritt in
diese Ehe hinein.
Die Mutter weiß nichts von diesem Samen und nichts von diesem Wachsen,
die Mutter hat nur einfach so dahingesprochen, wie sie es immer getan
hat, die Mutter hat aus sich heraus geschöpft, wie sie es immer getan
hat, ohne Rücksicht, ohne Bedenken, die Mutter hat sich nicht vergewissert,
was sie sagen will, sie hat wie blind und taub ihre Zunge und Stimme betätigt,
wie blind und taub im Zorn ihre Stimme betätigt, und die Mutter weiß
gar nicht, was sie gesagt hat, sie hat es selbst nicht einmal gehört,
alles ging so schnell, so unfaßbar schnell, sie weiß nicht,
was sie gesagt hat, aber an dem Ausdruck der Augen der Tochter kann sie
erkennen, daß etwas geschehen ist, und sie weiß nicht, was
geschehen ist, die Mutter in ihrer grenzenlosen Armut, sie hat die beiden
Kinder allein aufgezogen, sie weiß nicht, wie sie es geschafft hat,
daß sie diese beiden Kinder aufgezogen hat, sie ist reiben und waschen
gegangen, um diese hungrigen Mäuler zu stopfen, um diese Kinderkörper
zu kleiden und zu füttern, sie hat ihr ganzes Leben gegeben, die
Mutter, um diese zwei Kinder zu ernähren und großzuziehen,
sie hat alles gegeben für diese Kinder und jetzt will die Kleine
nicht auf die Hochzeit der Großen gehen, sie will nicht auf diese
Hochzeit gehen, "Das ist keine Hochzeit, die nicht in der Kirche
stattfindet, nein, auf so eine .Hochzeit gehe ich nicht", sagt die
15jährige und wendet sich ab in ihrer schwarzen Kleidung, sie weiß,
wovon sie spricht, sie will die Schwester in der Kirche sehen, weiß
und schwarz, neben ihrem Mann, und sie weiß, wovon sie spricht,
wenn sie sagt: Nein, ich gehe nicht zu dieser Hochzeit, es ist keine Hochzeit.
Die Mutter fleht ihre große Tochter an. Sage doch deiner Schwester,
daß sie auf die Hochzeit mitgehen soll, sage doch ein Wort zu ihr,
bittet und fleht die Mutter, aber die Tochter sagt kein Wort, sie ist
still, wie sie nie still war, da sie gegen die Mutter nie still war, aber
heute will sie still sein an ihrem Tag, ihrem schönsten Tag in ihrem
Leben, will sie still sein, und sie sagt nicht: "Liebe Schwester,
komm auf meine Hochzeit", sie schweigt, ist still und spricht nicht,
und die Mutter kann dieses Schweigen nicht ertragen, sie kennt es nicht,
dieses Schweigen, sie kennt nur dieses laut schreiende Gezänk, von
ihr selber, und das der Tochter, sie kennt nur diesen Lärm, der dauernd
aus den Mündern steigt, dieses Schreien, dieses Stimmen erheben,
sie kennt sie nicht, diese Stille, die jetzt aus der Tochter kommt, sie
hat dieses laute Schreien dazu benützt, zu hören, daß
sie vorhanden ist, die Mutter hat sich laut schreiend weiterbewegt, damit
sie nicht untergeht, sie hat sich mit diesem dauernden Schreien über
Wasser gehalten, um nicht zu ertrinken in ihrem Leben, in dieser Schwernis,
die sie durchschritten hat, an jeder Hand ein Kind mitgeschleppt und dabei
die viele Arbeit geleistet, ihre Liebe ist aus ihr laut schreiend herausgekommen,
zu den Kindern hin - alles, was aus ihr kam, war Liebe - ihre ganze Liebe
hatte sie den Kindern gegeben, in jeder Handlung die sie setzte, hatte
sie Liebe an die Kinder gegeben, sie weiß nichts von sich, die Mutter,
sie sieht sie vor sich, diese beiden hochgewachsenen Kinder, die jetzt
schon beide auf sie hinunterblicken, und sie will, daß heute beide
auf dieser Hochzeit neben ihr sind, sie ist unglücklich über
die Eigenwilligkeit der jüngeren Tochter und sie ist unglücklich
über die Eigenwilligkeit der älteren Tochter, sie kann sagen,
was sie will, sie wird immer negiert, die Töchter haben sich selbst
zur entscheidenden Stimme erhoben, die Stimme der Mutter wird negiert,
die Töchter hören sie nicht, wenn sie schreiend zwischen ihnen
steht wie jetzt, die junge Tochter hat diesen Satz gar nicht gehört,
diesen Fluch gar nicht gehört, die älter Tochter hat ihn gehört
und nicht gefaßt, was jetzt von der Mutter kommt, und sie schweigt,
dieses Schweigen, das die Mutter nicht kennt und noch nie erlebt hat,
dieses Schweigen fördert in der Mutter so eine Gegenreaktion, die
Mutter hätte nie so einen Satz gesagt, wenn die Tochter nur ein Wort
zur Schwester gesagt hätte: "Komm doch auf meine Hochzeit",
so ein kleiner Satz, den hätte die Tochter sagen müssen, aber
die Tochter hat kein Wort gesagt und so hat die Mutter gesprochen, die
Mutter hat gesprochen über die beiden Kinder hinweg wie ein Richter,
der tief in ihrem Inneren sitzt, ein alter Richter, der richtet und seinen
Richtspruch fällt mit scharfer Zunge, die sich einschneidet in das
junge Kinderherz, nicht die Mutter hat gesprochen, "ES" hat
aus ihr gesprochen, und verwirrt hat sich die Mutter über den Mund
gestrichen, so, als wolle sie es wegwischen, was da herauskommt, aber
sie merkt, sie kann es nicht mehr wegwischen, sie sieht es in dem jungen
Gesicht, sie kann es nicht mehr wegwischen, nicht mehr ungeschehen machen.
Kein Mensch hört auf sie, sie kann sprechen, was sie will, die Töchter
haben zu allem eine eigene Meinung, sie hat nie Zeit dazu gehabt, die
Töchter richtig zu erziehen, die starke Hand des Vaters hat gefehlt,
die starke Hand eines Erziehers, sie ist nie mit den Töchtern fertig
geworden, sie hat auch keine Zeit dazu, die Töchter sind ihr entglitten,
und jetzt ist nichts mehr daran zu ändern, sie kann sagen, was sie
will, es hat keine Wirkung.
Die Mutter glaubt, es hatte keine Wirkung. Aber ihre Worte sind in die
Tochter eingedrungen, haben die Tochter verändert, haben die Tochter
verwandelt, die Tochter ist jetzt eine andere als vorher, bevor sie diese
Worte an die Tochter gerichtet hat, die Tochter ist abgerückt, in
einen anderen Raum, wo Platz ist, um diesen Fluch sich ausbreiten zu lassen,
wo Platz ist, daß dieser Fluch sich entfalten kann. Und der Fluch
beginnt sich zu entfalten, der Fluch beginnt zu wirken, die Tochter öffnet
ihn als das Geschenk des Tages, das Geschenk ihres schönsten Tages
und zugleich das Geschenk der Mutter, sie öffnet das Geschenk der
Mutter und schreitet mit diesem Geschenk in ihre Ehe hinein, die Tochter
trägt ein Kind unter dem Herzen, und dieses Kind hat bei dem Schrecken
der Tochter, als sich das Herz so stark verkrampfte, keinen Sauerstoff
und keinen Blutzufluß erhalten, einen Augenblick ist die Schwangere
von ihrem im Körper heranwachsenden Wesen getrennt gewesen durch
die Worte der Mutter, durch den Schock war sie getrennt gewesen, einen
einzigen kleinen Augenblick getrennt gewesen, die Tochter weiß davon
nichts, aber der Fluch beginnt schon in diesem ersten Augenblick Wirkung
zu zeigen.
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